10. Juni 2020

10.06.2020 / aus der Zahnarztpraxis Dr. Steuerwald und Kollegen in Berlin Schöneberg / Zahnarzt und Schwangerschaft

AUS DER ZAHNARZTPRAXIS DR. STEUERWALD UND KOLLEGEN, EISENACHER STRAßE IN BERLIN-SCHÖNEBERG

WISSENSCHAFTLICHE STELLUNGNAHME Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde gegr. 1859

ZAHNÄRZTLICHE BEHANDLUNG IN DER SCHWANGERSCHAFT

Die Schwangerschaft erfordert die Berücksichtigung einiger spezifischer ärztlicher und rechtlicher Belange, um eine Gefährdung oder Schädigung des ungeborenen Lebens zu vermeiden. Darüber hinaus sind die physischen und psychischen Besonderheiten der Schwangeren zu beachten. Schutz vorSchäden durch RöntgenstrahlenDie Verordnung über den Schutz vor Schäden durch Röntgenstrahlen befaßt sich in § 22, § 25 und § 28 mit den Besonderheiten der Anwendung ionisierender Strahlen bei weiblichen Personen im gebärfähigen Alter und in der Schwangerschaft. Obwohl es als erwiesen gilt, daß eine pränatale Strahlenexposition, in Abhängigkeit von der Dosis und vom Gestationsalter, zum Tod der Leibesfrucht, zu Mißbildungen, Wachstumsstörungen, malignen Erkrankungen sowie genetischen Veränderungen führen kann, wird das Risiko zahnärztlicher Aufnahmen bei Beachtung eines optimalen Strahlenschutzes als extrem niedrig eingestuft. Die Strahlenbelastung im Bereich des Uterus wird bei Aufnahmen im Mund-Kiefer-Bereich in der Größenordnung der natürlichen Hintergrundbelastung zwischen 0,1 bis 1 pGy geschätzt. Wegen Unkenntnis einer sicheren Schwellendosis sollten jedoch Röntgenuntersuchungen in der Schwangerschaft nur bei zwingender Indikation durchgeführt werden; dies gilt insbesondere für das 1. Trimenon. Um die Strahlenbelastung möglichst gering zu halten, sollten höchstempfindliche Filme, Rechtecktubus sowie Mehrfachröntgenschutz verwendet werden. Die Zahl der Aufnahmen ist auf ein Minimum zu beschränken, auf besondere Maßnahmen des Strahlenschutzes sollte geachtet werden.

Verordnung von Medikamenten

Die Arzneimitteltherapie in der Schwangerschaft muß so gewählt werden, daß weder die werdende Mutter noch der Embryo bzw. Fetus Schaden erleiden. Während die Medikamentenwirkungen auf die Mutter bekannt sind, ist die Risikoabschätzung von Medikamentenwirkungen auf das werdende Leben schwierig. Die Art der Schädigung ist von der intrauterinen Entwicklungsphase abhängig. Die Verantwortung für die Arzneimitteltherapie in der Schwangerschaft trägt vor allem der behandelnde Arzt. Richtlinien für die Anwendung von Arzneimitteln in der Schwangerschaft:

1. Einnahme von Medikamenten nur, falls unbedingt erforderlich. In Problemsituationen mit längerfristiger Arzneitherapie sollte Kontaktaufnahme mit dem behandelnden Gynäkologen erfolgen.

2. Nach Möglichkeit nur Einnahme von Monopräparaten, die schon lange im Gebrauch sind und eine gute Risikoabschätzung ermöglichen.

3. Bei der Dosierung

Beachtung der veränderten Pharmakokinetik in der Schwangerschaft, die sich vor allem durch Vergrößerung des Extrazellularraumes ergibt. AnalgetikaUnter Berücksichtigung einiger Besonderheiten ist das Anilinderivat Parazetamol und Phenazon bzw. Propyphenazon für die Anwendung in der Schwangerschaft geeignet. Hinweise auf teratogene Wirkungen liegen nicht vor. Paracetamol passiert die Placenta, weshalb eine hohe Dosierung über längere Zeit zu vermeiden ist, um kindlichen Leberschäden vorzubeugen. Acetylsalicylsäure hemmt die Prostaglandinsynthese und sollte deshalb im letzten Schwangerschaftsmonat zur Vermeidung einer Geburtsverzögerung nicht verordnet werden. Bei Schwangeren und Feten werden Blutungen beobachtet; daher sollte Acetylsalicylsäure in der Schwangerschaft vermieden werden (Cave: Vorzeitiger Verschluß des Ductus Botalli). In besonderen Schmerzsituationen mit starken Schwellungen kann die Anwendung von Derivaten schwacher Carbonsäuren erwogen werden, die zu den nichtsteroidalen Antirheumatika zählen. Diese sind Arylessigsäuren und Arylpropionsäuren. Die bekanntesten Vertreter sind Diclofenac und Ibuprofen. Im Tierversuch fanden sich keine Hinweise auf teratogene Eigenschaften. Bei Langzeittherapie von Schwangeren mit chronischer Polyarthritis sind keine Mißbildungen beobachtet worden. Als Hemmer der Prostaglandinsynthese unterliegen sie den gleichen Einschränkungen wie die Acetylsalicylsäuren, die zu besonders prominenten Blutungsrisiken führen können. In besonderen Fällen ist die Anwendung von Opiaten und sogenannten Opioidanalgetika, die zum Teil der Betäubungsmittelverordnung unterliegen, geboten. Hinweise auf ein Mißbildungspotential finden sich nicht. Allerdings beruhen die Erfahrungen auf einer sehr schmalen Datenbasis. Bei der Anwendung kurz vor der Geburt kann beim Neugeborenen eine Atemdepression auftreten. Die lange Anwendung von Opiaten kann beim Neugeborenen Entzugserscheinungen und Reaktionsverzögerungen hervorrufen. Angewendet werden können:

1. Opioidanalgetika mit geringer Affinität zum Opiatrezeptor und deshalb geringerer analgetischer Wirkung als bei den eigentlichen Opiaten. Wegen fehlender Suchtgefahr unterliegen sie nicht dem Betäubungsmittelgesetz:Tramadol, Tilidin-Naloxon.

2. Opioidanalgetika mit hoher Affinität zum Opiatrezeptor und deshalb starker analgetischer Wirkung. Wegen der Suchtgefahr unterliegen sie dem Betäubungsmittelgesetz: Morphin, Buprenorphin, Levomethadon, Pentazocin, Pethidin.
LokalanästhetikaLokalanästhetika besitzen eine hohe Lipidlöslichkeit und können deshalb schnell die Plazenta passieren. Der Übertritt vom mütterlichen in das fetale Blut erfolgt um so rascher, je geringer das Lokalanästhetikum an Plasmaproteine gebunden ist. Es werden deshalb die Lokalanästhetika mit der höchsten Proteinbindungsrate bevorzugt. Es gibt keine Berichte über keimschädigende Wirkungen durch Lokalanästhetika bei der zahnärztlichen Behandlung von Schwangeren. Adrenalin als vasokonstriktorischer Zusatz ist in der Schwangerschaft möglichst niedrig zu dosieren (1:200000). Von seiten der Gynäkologen bestehen keine Einwände gegen Adrenalin-Abkömmlinge; diese Stoffe werden als Tokolytika eingesetzt. Intravasale Applikation ist zu vermeiden, da systemisch resorbiertes Adrenalin durchaus zu einer Konstriktion der Uterusgefäße führen kann. Noradrenalin und Felypressin sind kontraindiziert. Während der gesamten Schwangerschaft können die folgenden Lokalanästhetika verwendet werden: Articain, Bupivacain, Etidocain. Die Amide Prilocain und Mepivacain sind eher kritisch zu betrachten.

Antibiotika

Bei den folgenden Antibiotikagruppen wurden keine embryotoxischen Wirkungen festgestellt. Ihre Anwendung in der Schwangerschaft ist möglich: Penicilline, Cephalosporine und Makrolid-Anlibiotika. Sedativa und Hypnotika In Einzelfällen müssen Anxiolytika kurzzeitig verordnet werden, selten auch Schlafmittel. Besonders geeignet ist bei strenger Indikationsstellung hierfür die Gruppe der Benzodiazepine wegen der geringen Nebenwirkungsrate. Keimschädigende Wirkungen wurden weder bei Tier noch Mensch beschrieben. Diazepam ist die am besten untersuchte Verbindung dieser Gruppe. Es kann bei einer zahnärztlichen Indikation in der Regel als Anxiolytikum und Hypnotikum eingesetzt werden.
B. Willershausen-Zönnchen, Mainz

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