13. Januar 2014

13. Januar 2014 – Zähne wie Kreide, von Jörg Blech aus „Der Spiegel 49/2013“, Seite 132

In der Spiegelausgabe 49 aus 2013 fand ich auf der Seite 132 einen zahnmedizinischen Artikel von dem Journalisten Jörg Blech.

Da wir uns in unserer Praxis in Berlin Schöneberg ausgiebig mit der Kinderzahnheilkunde beschäftigen und ebenso öfter derartige Schmelzveränderungen entdecken, möchte ich  in dieser Rubrik den Artikel wiedergeben.

Zähne wie Kreide

Dank besserer Pflege haben Kinder seltener Karies als früher. Dafür zerbröseln jetzt einzelne Backenzähne. Lösen Umweltgifte die rätselhafte Krankheit aus?

Der Greifswalder  Zahnarzt Christian Splieth fährt mit einem Spiegel durch den Mund der neunjährigen Leonie. Alles sieht prima aus, keine Karies an den verbleibenden Zähnen. Doch dann erblickt der Doktor im rechten Oberkiefer einen bernsteinfarbenen Höcker.

„Mit diesem Backenzahn ist es wie mit unseren Kreidefelsen an der Ostseeküste“, sagt Splieth. „Er bröselt vor sich hin“. So wie die kleine Leonie leiden vermutlich bereits zehn Prozent aller deutschen Schulkinder an einer rätselhaften neuen Zahnkrankheit. „Molar-Incisor-Hypomineralisation“ (MIH) nennen Mediziner das sich ausbreitende Phänomen. Meist sind bestimmte bleibende Backenzähne („6-Jahr-Molaren“) befallen, mitunter trifft es auch Frontzähne. Die befallenen Zähne sind nicht ausreichend mineralisiert, sehen käsig trüb aus – und können beim bloßen Kauen sogar zerbröckeln.

Leonies Mutter kann sich das Leiden nicht erklären. Ihre Tochter esse nicht so viele Süßigkeiten  und putze sich regelmäßig die Zähne. Damit sei das Mädchen durchaus ein typischer MIH-Fall, sagt Splieth, 49, der die Abteilung für präventive Zahnmedizin und Kinderzahnheilkunde der Universitätsmedizin in Greifswald leitet.

Dank verbesserter Zahnpflege haben Schulkinder nur noch selten kariöse Zähne. Umso größer ist für die Eltern dieser eifrigen Bürstenbenutzer der Schreck, wenn bei der Vorsorgeuntersuchung plötzlich ein anderes Problem auftaucht. Splieth sagt: „Die ersten sechs Jahre sind die Zähne alle weiß und ohne Karies. Dann kommt der erste bleibende Backenzahn, auf den sich alle freuen. Doch der hat eine braune Oberfläche, ist empfindlich, tut weh und geht kaputt.“

Nicht nur Kariesbakterien, auch Erbanlagen scheiden als Ursache der mysteriösen Erkrankung offenbar aus. Vielmehr sprechen Indizien dafür, dass Umweltfaktoren die normale Zahnentwicklung stören – und dies in der Phase zwei Monate vor der Geburt bis ungefähr zum ersten Geburtstag. In diesem Zeitfenster werden offenbar jene 6-Jahr-Molaren und ersten Frontzähne mineralisiert, an denen dann typischerweise MIH entstehen kann.

Wenn diese bleibenden Zähne schließlich durchbrechen, sind sie bereits gelblich und bröselig. „Man sieht den Schaden und fängt an zu überlegen:  Was war mit dem Kind früher los?“, sagt Norbert Krämer, 54, Leiter der Poliklinik für Kinderzahnheilkunde in Gießen.

Vermutlich war schon der Fötus oder später das Baby Schadstoffen ausgesetzt, die bereits in geringen Mengen auf die schmelzbildenden Zellen einwirken und den Einbau von Kalzium und Phosphat in bleibende Zähne stören. Dadurch ist deren Schmelz verfärbt und so unfertig, dass Teile von ihm regelrecht abplatzen können. Die derart beschädigten Zähne wiederum verfügen kaum über Schutz gegen Säuren, reagieren schmerzhaft auf heiße sowie kalte Getränke und werden, selbst bei regelmäßigem Putzen, anfällig für Zahnfäule (Karies).

Über die genaueren Ursachen von MIH können die Zahnärzte bisher nur spekulieren. Laut einer im „American Journal of Pathology“ veröffentlichten Studie stört die in vielen Kunststoffen enthaltene Chemikalie Bisphenol A die Mineralisation der Zähne von Ratten. Die Tierexperimente sind zwar nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragbar, dennoch mahnen MIH-Experten zur Vorsicht.

„Das Trinken aus der Plastikflasche würde ich abstellen“, sagt der Gießener Norbert Krämer. Ebenso solle man Lebensmittel meiden, die in Plastik abgepackt sind. Denn aus dem Kunststoff könnten Schadstoffe in die Nahrung übergehen. Krämer: „Man  könnte etwas herunterschlucken, das nicht gut ist.“

Der Greifswalder Christian Splieth geht ebenfalls davon aus, dass der MIH-Auslöser in der modernen Umwelt zu finden sein muss. Er selbst hatte Antibiotika in Verdacht, zumal von Tetrazyklin bekannt ist, dass es in den Zahnschmelz eingebaut werden kann. Deshalb haben er und seine Kollegin Marina Petrou untersucht, wie verbreitet MIH unter Schulkindern in Düsseldorf, Greifswald, Hamburg und Heidelberg ist und ob es einen Zusammenhang zum jeweiligen Antibiotikaverbrauch gibt.

Ihre noch unveröffentlichte Vergleichsstudie konnte diesen Verdacht allerdings nicht erhärten. Im Gegenteil: Die Kinder in Greifswald hatten mit vier Prozent die niedrigste MIH-Rate und bekamen am meisten Antibiotika verabreicht.

Während die Forscher weiter nach den Ursachen suchen, brauchen die  MIH-Kinder und ihre Eltern nicht zu verzweifeln. Das Gebiss ist nicht in Gefahr. Zu den Merkwürdigkeiten des Leidens gehört, dass es sich häufig nur auf den 6-Jahr-Molar beschränkt und der Frontzahn, wenn überhaupt, weniger stark betroffen ist.

Wichtig ist, frühzeitig und regelmäßig zum Zahnarzt zu gehen. In vielen Fällen reicht eine Versiegelung oder eine Füllung, um einen MIH-Zahn zu erhalten.

Falls ein 6-Jahr Molar bereits zerstört sein sollte, kann man diesen entfernen, so dass sich die Lücke durch den nachrückenden Weisheitszahn wieder schließen kann.

 

Diesen Artikel von Herrn Jörg Blech habe ich leicht gekürzt übernommen. Wir werden Sie natürlich weiterhin auf dem Laufenden halten und über wissenschaftliche Neuigkeiten zu diesem Thema

informieren.  Mit herzlichen Grüßen von Jochen Steuerwald aus Berlin Schöneberg.

 

 

 

 

 

 

 

 

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