19. Januar 2022

19.01.2022 – Zahnbürsten sind ein extremer Ort- von Prof. Markus Egert / aus dem SPIEGEL 07/2021

»Zahnbürsten sind ein extremer Ort«

Mar­kus Egert, 48, Pro­fes­sor für Mi­kro­bio­lo­gie der Hoch­schu­le Furt­wan­gen, über die Tü­cken der Mund­hy­gie­ne
SPIEGEL: Herr Egert, Mi­kro­bio­lo­gen aus den Ver­ei­nig­ten Staa­ten ha­ben in ei­ner Stu­die fest­ge­stellt, dass sich auf Zahn­bürs­ten Mi­kro­ben ver­meh­ren, die ge­gen An­ti­bio­ti­ka re­sis­tent sind. Was steckt hin­ter die­ser be­un­ru­hi­gen­den Mel­dung?

Egert: Die Ent­de­ckung der ame­ri­ka­ni­schen Kol­le­gen ist ein Mei­len­stein in der Zahn­bürs­ten­for­schung. Ein Bak­te­ri­um kann auf un­ter­schied­li­chen We­gen re­sis­tent wer­den ge­gen ein An­ti­bio­ti­kum. Ver­ant­wort­lich für Re­sis­ten­zen sind be­stimm­te Pro­te­ine, die das An­ti­bio­ti­kum zer­stö­ren oder es aus der Bak­te­ri­en­zel­le her­aus­be­för­dern. Von sol­chen Pro­te­inen ha­ben die For­scher 176 ver­schie­de­ne Ty­pen auf den von ih­nen un­ter­such­ten Zahn­bürs­ten ge­fun­den. Das ist schon eine gan­ze Men­ge.

SPIEGEL: Wo­her kom­men die Kei­me mit den Re­sis­ten­zen?

Egert: Aus der Luft, aus dem Was­ser, wo­mög­lich so­gar aus dem Ab­spül­was­ser der Toi­let­te. In­ter­es­sant ist, was auf der Zahn­bürs­te dann wo­mög­lich pas­siert: Dort tref­fen bei­spiels­wei­se Strep­to­kok­ken, die be­son­ders auf Schleim­häu­ten ge­dei­hen und ty­pi­sche Mund­bak­te­ri­en sind, auf Pseu­do­mo­nas-Bak­te­ri­en, die die­se Re­sis­tenz­ge­ne be­sit­zen. Pseu­do­mo­na­den selbst könn­ten in un­se­rem Mund kaum über­le­ben, sie sind eher im Was­ser hei­misch. Aber sie kön­nen die re­sis­ten­ten Gene auf die Strep­to­kok­ken über­tra­gen. Das ist das Schre­ckens­sze­na­rio: Die ho­len wir uns dann beim nächs­ten Zahn­putz in den Mund. Und da­mit en­steht die Ge­fahr, dass sich re­sis­ten­te Mund­bak­te­ri­en ent­wi­ckeln.

SPIEGEL: War­um ge­dei­hen an­ti­bio­tika­re­sis­ten­te Kei­me aus­ge­rech­net auf der Zahn­bürs­te so gut?

Egert: Weil die Zahn­bürs­te aus mi­kro­bio­lo­gi­scher Sicht ein ex­tre­mer Ort ist. An­ti­mi­kro­bi­el­le Wirk­stof­fe aus der Zahn­pas­ta und Mund­was­ser und der stän­di­ge Wech­sel zwi­schen feucht und tro­cken be­deu­ten enor­men Stress für die meis­ten Mi­kro­ben. Nur die har­ten, un­ver­wüst­li­chen Bak­te­ri­en über­le­ben an die­sem Fle­cken. Und weil sie kei­ne Nah­rungs­kon­kur­renz zu fürch­ten brau­chen, ver­meh­ren sich sol­che Kei­me dann auch sehr schnell.

SPIEGEL: Soll­te man dann lie­ber gar kei­ne Zäh­ne mehr put­zen?

Egert: So weit wür­de ich nicht ge­hen. Aber man soll­te sei­ne Zahn­bürs­te gründ­lich von Zahn­pas­tarück­stän­den rei­ni­gen, gut trock­nen und spä­tes­tens nach drei Mo­na­ten er­set­zen.

SPIEGEL: Im Bad wür­de man die Keim­quel­le eher wo­an­ders ver­mu­ten als auf der Zahn­bürs­te.

Egert: Ich wer­de ja nicht müde zu be­to­nen, dass der Toi­let­ten­sitz die ver­mut­lich keim­frei­es­te Zone in der gan­zen Woh­nung ist. Der ist glatt und meis­tens tro­cken, da kann sich kaum et­was an­sie­deln. Ich ken­ne aber Leu­te, die schmei­ßen ihre Klo­bürs­te weg, wenn ein Gast da war und die­se be­nutzt hat. Die­sel­ben Men­schen schrub­ben ihre Zäh­ne dann wo­mög­lich ein Jahr lang mit der­sel­ben Bürs­te. Hy­gie­nisch ge­se­hen, er­gibt das kei­nen Sinn.

SPIEGEL: Was ist von Zahn­bürs­ten-Kits zu hal­ten, bei de­nen der Bürs­ten­kopf mit UV-Licht be­strahlt wird, um ihn keim­frei zu hal­ten?

Egert: Das ist rei­nes Over­en­gi­nee­ring und Blöd­sinn. Ver­mut­lich re­du­ziert es die Keim­zahl auch nicht deut­li­cher als sim­ples Trock­nen. Und als an­ti­mi­kro­bi­el­le Maß­nah­me könn­te das grund­sätz­lich auch zur Se­lek­ti­on re­sis­ten­ter Kei­me füh­ren.

 

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