4. Juni 2020

Aus der Zahnarztpraxis Dr. Steuerwald, Berlin-Schöneberg / 04.06.2020 / Rückgang der Parodontitis, aber weiterhin in Deutschland hohe Parodontitis-Behandlungen / Text vom Patientenratgeber der DGParo

Erfreulicher Rückgang bei Parodontitis, aber die Behandlungslast in Deutschland bleibt mit 11,5 Millionen schweren Parodontitisfällen hoch

Donnerstag, 22 September 2016

Würzburg, 16.09.2016 – Im Rahmen eines Pressegesprächs auf der Jahrestagung der DG PARO erläuterten Vertreter der Fachgesellschaft die Ergebnisse der jüngst veröffentlichten Fünften Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS V) des Instituts der Deutschen Zahnärzte (IDZ) insbesondere bezogen auf Parodontalerkrankungen. Seit der letzten Erhebung vor zehn Jahren ist eine positive Entwicklung bei der parodontalen Gesundheit der Deutschen zu konstatieren, betonte DG PARO Präsident Prof. Christof Dörfer. Es kann von einer deutlichen Abnahme der Parodontitisprävalenz ausgegangen werden. Trotzdem bleibt es nach den Bewertungen der DG PARO bei einer hohen Behandlungslast in Deutschland von über 11 Millionen parodontal schwer Erkrankten. Dabei ist insbesondere eine Verlagerung zu den älteren Senioren (75 bis 100 Jahre) zu beobachten, wo die Prävalenz bei über 50 Prozent liegt. Bei den jüngeren Erwachsenen (35 bis 44 Jahre) hat sich der Anteil mundgesunder Patienten deutlich von 29 auf 48 Prozent verbessert.

Die Deutsche Mundgesundheitsstudie wird als bevölkerungsrepräsentative Querschnittsstudie nur etwa alle 10 Jahre vom IDZ erhoben. Für die Beurteilung der parodontalen Situation erfolgt eine Teilbefundung (12 Indexzähne an 3 Flächen) bei per Zufall ausgewählten Probanden. In der DMS V wurden erstmals auch eine Vollbefundungen (alle Zähne an 6 Flächen) bei circa 10 Prozent des Studienkollektivs sowie die Untersuchung älterer Senioren über 75 Jahre durchgeführt, um die Aussagekraft zu erhöhen. Die Erhebung der Daten für die DMS V wurde im Jahr 2014 abgeschlossen.
Prof. Thomas Kocher, Mitglied der DG PARO und Mitautor der DMS V erläuterte die für die Parodontologie wichtigen Kennzahlen der DMS V. Bei allen Parametern sind Verbesserungen zu verzeichnen. So ist die Zahl der Totalprothesen bei den jüngeren Senioren (65 bis 74 Jahre) deutlich zurückgegangen, von 22,6 Prozent (DMS IV) auf 12,4 Prozent (DMS V). Bei den Erwachsenen ist, nahezu unverändert über die Beobachtungszeiträume, nur circa ein Prozent zahnlos.

 

Mehr Zähne und gesündere Zähne

Die Anzahl der Zähne ist in den letzten Erhebungen über alle Alterskohorten hinweg ständig gestiegen. Bei den Erwachsenen (35-44 Jahre) stieg die Zahl im Verlauf der drei letzten Mundgesundheitsstudien von 24,1 (DMS III) auf 25,6 (DMS IV) zu 25,9(DMS V). Bei den jüngeren Senioren (65-74 Jahre) noch deutlicher: von 10,4 Zähne auf 13,9 bis heute auf 16,9.
Auch die Zahl der Zähne ohne Füllungen ist bei Erwachsenen von 11,9 auf 16,8 gestiegen. Bei den Senioren zeigt sich eine noch deutlichere Verbesserung von 4,3 auf 10,3 gesunde Zähne. Damit haben die Untersuchten über alle Altersgruppen hinweg mehr Zähne und darunter mehr gesunde Zähne. Damit liegt Deutschland im Trend anderer Länder weltweit.
Die Implantatprävalenz ist deutlich gestiegen. Mit fortschreitendem Alter erhöht sich die Zahl der Patienten mit Implantaten und die Zahl der Implantate je Patient. Circa 8 Prozent der Senioren sind mit Implantaten versorgt.

 

Deutliche Abnahme der Prävalenz schwerer Parodontitis in der DMS V

Die Prävalenz der schweren Parodontitis (entsprechend der Definition der AAP/CDC, Page & Eke 2007) nahm bei den Erwachsenen von 17,4 Prozent auf 8,2 Prozent ab. Moderate Fälle sanken von 53,6 Prozent auf 43,4 Prozent. Erfreulich ist der Anstieg des Anteils parodontal gesunder Probanden von 29 Prozent auf 48,4 Prozent. Fazit: Unter den Erwachsenen sind also aktuell nur noch halb so viele, die eine schwere Parodontitis haben, aber fast doppelt so viele, die parodontal gesunde Zähne aufweisen. Eine überaus positive Entwicklung.
Bei den jüngeren Senioren (65-74 Jahre) sind die schweren Parodontalerkrankungen deutlich rückläufig, von 44,1 Prozent (DMS IV) auf 19,8 Prozent (DMS V). Bei den moderaten Parodontalerkrankungen ist der Rückgang nur leicht von 47,9 Prozent
(DMS IV) auf 44,8 Prozent (DMS V).

Die Munderkrankungen verschieben sich ins höhere Alter

Neu ist die Untersuchung älterer Senioren (75 bis 100 Jahre). Erstmals wurde diese Alterskohorte in die DMS V aufgenommen. Hier zeigt sich eine Prävalenz der schweren Parodontitis von derzeit 44,3 Prozent. 45,7 Prozent hatten eine moderate Parodontitis, nur 10 Prozent hatten keine oder eine milde Parodontitis.
Die DMS V zeigt auch auf, dass die heutigen jüngeren Senioren wesentlich gesünder als die jüngeren Senioren der DMS IV sind. Die Krankheitslast der jüngeren Senioren aus der DMS IV entspricht der der älteren Senioren von heute. Prof. Kocher betonte, dass aber gerade für die älteren, pflegebedürftigen Senioren über 75 Jahren bislang noch keine validierten Betreuungskonzepte vorliegen und sie überwiegend schlecht vom Zahnarzt erreicht würden, insbesondere wenn sie alleine zu Hause lebten.

Die Krankheitslast ist aber deutlich höher – zeigen Berechnungen der DG PARO

Trotz aller positiver Trends, die die DMS V zeigt, merkten die Experten der DG PARO kritisch an, dass bei Querschnittsstudien der direkte Vergleich, hier der DMS V mit der DMS IV, so nicht möglich ist, weil eventuell andere Patienten untersucht wurden. Auch kritisierten die Parodontologen, dass durch die gewählte Erhebungsmethode der DMS V (Teilbefundung – partial mouth recording) eine Bewertung der wirklichen

Krankheitsbelastung schwierig ist. Aus Ressourcengründen wurden in der DMS V nur zwölf Indexzähne an drei Flächen parodontal befundet. Mit diesem Vorgehen, so Prof. Kocher, können zwar Veränderungen über die Zeit erfasst, aber keine belastbaren Aussagen zur Krankheitslast in der Bevölkerung gemacht werden.
Auf Anregung der DG PARO, die sich im Vorfeld der DMS V für eine Vollbefundung
(full mouth recording) aller Zähne ausgesprochen hatte, sich aber nicht durchsetzten konnte, wurden dann zumindest 79 Erwachsene und 99 jüngere Senioren vollumfänglich untersucht, um Korrekturfaktoren zu errechnen und damit den Umfang der parodontalen Krankheitslast abzuschätzen.

Umgerechnet erhöhen sich die Prävalenzen auf 15,3 bzw. 40,6 Prozent

Während entsprechend der parodontalen Teilbefundung der DMS V 8,2 Prozent der Erwachsenen bzw. 19,8 Prozent der Senioren parodontal stark erkrankt waren, liegen die Werte – nach der Umrechnung von Teil- auf  Vollbefundung – deutlich höher. Danach beträgt die hochgerechnete Prävalenz schwerer Parodontalerkrankungen bei den Erwachsenen 15,3 Prozent, bei den jüngeren Senioren 40,6 Prozent. Bei den älteren Senioren bleibt die Prävalenz der schweren Parodontitis bei 44,3 Prozent, da in dieser Gruppe bereits alle Zähne untersucht wurden.

11,5 Millionen parodontal schwer Erkrankte

Aus diesen errechneten Prävalenzzahlen in den untersuchten Alterskohorten kann die parodontale Erkrankungslast der deutschen Bevölkerung hochgerechnet werden. In Deutschland leben etwa 62,8 Millionen Menschen im Alter von ≥ 25 Jahre, von denen vermutlich 11,5 Millionen parodontal schwer erkrankt sind, erläuterten die Vertreter der DG PARO. Die bisherigen Hochrechnungen der Erkrankungslast aus der DMS IV von 8 bis 11 Millionen Fällen schwerer Parodontalerkrankungen beruhten auf den Jahrgängen der 35- bis 74-Jährigen und auf dem CPI (Community Periodontal Index)  im partial mouth recording. Im Vergleich von DMS IV und V ist die Prävalenz zwar gesunken, wenn aber die über 74-Jährigen mit berücksichtigt und für die Unterschätzung durch die Teilbefundung korrigiert werde, ergeben sich aktuell wieder gut 11 Millionen behandlungsbedürftige schwere Fälle. Die auf der DMS IV beruhenden Hochrechnungen haben die Prävalenz offenbar unterschätzt.

Ein Verdienst der Zahnärzte und Parodontologen

Eine Erklärung des Rückgangs der Prävalenzen in den vergangenen neun Jahren stellte Prof. Peter Eickholz vor. Dazu bezog er die jährlich behandelten Fälle gemäß der KZBV-Jahrbücher ein. Darin sind rund eine Million Behandlungen pro Jahr erfasst. Davon abgezogen wird die Zahl der Neuerkrankungen mit schwerer Parodontitis – das sind 500.000 pro Jahr (Kassebaum et al. 2014). So ergibt sich hochgerechnet ebenfalls eine Reduktion der Erkrankungslast schwerer Fälle (CPI 4) um 4,5 Millionen in neun Jahren, die mit der der DMS V übereinstimmt.

ei der Frage nach den Ursachen für diese erfreuliche Entwicklung verwiesen Prof. Kocher und Prof. Eickholz nicht nur auf den Beitrag, den die Zahnärzte, die spezialisierten Parodontologen und die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie geleistet haben, die sich seit langem für eine Verbesserung der Behandlung stark macht. Relevant könnte auch der Rückgang an Füllungen sein, die durch Überhänge die Ausbildung von Parodontitis begünstigen. Zudem scheint die Aufklärungsarbeit in Richtung Patienten Früchte zu tragen.

Aufgeklärtere Patienten, bessere Mundhygiene und Hilfsmittel

Zu den positiven Einflussfaktoren gehören auf Seiten der Bürger die gesunkene Raucherprävalenz sowie ein insgesamt höherer Bildungsgrad und damit auch ein höheres Bewusstsein sowie Wissen um richtige Mundhygiene. Das zeigt sich auch in der deutlich häufigeren Verwendung von elektrischen Zahnbürsten, Zahnseide, Zwischenraumbürsten und Mundwasser. Welche Effekte der messbar umfänglichere Einsatz von Mundhygienehilfsmittel allerdings hat, das müssen weitere multifaktorielle Untersuchungen der DMS V Daten zeigen.
PZR alleine reicht nicht

Über den Beitrag der PZR waren sich die Experten nicht einig. Um deren Einfluss auf die veränderte Prävalenz der Parodontalerkrankungen abzuschätzen, müssen multifaktorielle Auswertungen der DMS V Daten durchgeführt werden. „Zumindest haben wir keine Daten dafür, dass PZR – also die Professionelle Zahnreinigung alleine – eine Verbesserung der Parodontitis bewirkt“, so Prof. Eickholz, der sich auf das Konsensuspapier der European Federation of Periodontology bezieht (Tonetti et al. 2015). Jedoch sei die PZR im Praxisalltag meist mit weiteren Leistungen assoziiert, wie Befunderhebung, Mundhygieneinstruktionen oder subgingivale Instrumentierung, die nachweislich hilfreich seien. Hierzu bedarf es weiterer Längsschnittstudien.

Fachgesellschaft sieht sich weiter in der Pflicht

Insgesamt gaben sich die Vertreter der DG PARO motiviert, weiter auf dem Erreichten aufzubauen. „Wir können nicht alles falsch gemacht haben“, gab sich Prof. Eickholz bescheiden und betonte, dass die Fort- und Weiterbildung sowie die politische und Aufklärungsarbeit der DG PARO hierzu wichtige Beiträge leiste. Aber es müsse auch mehr nach innen getan werden. Die parodontologische Ausbildung an den Universitäten muss – nicht nur mit Blick auf die demografische Entwicklung – aufgewertet werden, forderte Prof. Kocher. Die DG PARO werde die parodontologische Kompetenz der Kolleginnen und Kollegen weiterhin auf allen Ebenen intensiv fördern. Dazu seien auch Kongresse wie diese Jahrestagung notwendig, an der etwa 1.000 Kongressbesucher teilnahmen, darunter zunehmend mehr junge Zahnärztinnen und Zahnärzte.

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